Photos by Austin Britt & Lindsay Steele 

Der wohl aufregendste Sound, den Sie in diesem Jahr hören werden, ist der der preisgekrönten Bluesrocksängerin Ally Venable mit ihrem neuen Album “Real Gone”. Der Titeltrack schießt zum Auftakt des fünften Langspielers von Venable mit stampfenden Drums und einem spröden Gitarrenriff los, bevor die quirlige Texanerin dann zu einer halsbrecherischen Fahrt auf der Überholspur aufbricht. Womöglich rast die junge Dame sogar zum nächsten Gig, wo sie auf der vertrauten, voll aufgedrehten, magentafarbenen Gibson Les Paul ihre neuesten Songs zum Besten gibt.

Der Titel Real Gone deutet auf Bewegung und das passt zur Entstehungsgeschichte des Albums. Für die Aufnahmesessions im vergangenen Jahr reist Venable nach Nashville und Chicago. Am Mischpult sitzt dort kein Geringerer als der Grammy-Gewinner Tom Hambridge (Buddy Guy, James Cotton). Der erfahrene Studiotüftler macht die lodernde Energie von Allys Studioband hörbar, und zwar wie nie zuvor. So schafft die Singer-Songwriterin, die in ihrer jungen Karriere bereits von Fachblättern wie Guitar Player und Classic Rock in den Himmel gehoben wurde, einen Riesensprung nach vorne.

 

„Ich habe viele schöne Erinnerungen an die Sessions zu “Real Gone”“, sagt Venable. „Die Zusammenarbeit mit Tom und die Atmosphäre, die er als Produzent erzeugt, ist unglaublich. Diese Aufnahme war meine bisher beste Studioerfahrung.“

Eingefleischte Fans der Amerikanerin können sich bei Real Gone auf die schärfsten Songs, feurigsten Soli und ehrlichsten Texte ihrer Karriere freuen. „Ich denke, sowohl mein Gesang als auch mein Gitarrenspiel sind inzwischen reifer geworden“, sagt sie. „Ich habe mich diesmal voll auf das Songwriting konzentriert. Ich wollte schildern, was für mich wahr ist und was ich seit der Veröffentlichung von Heart Of Fire 2021 so alles durchgemacht habe, um eine Verbindung zum Publikum herzustellen.“

Diejenigen, die Ally Venable noch nicht kennen, fragen sich vielleicht, wie diese 23-Jährige schon mit so viel Überzeugung singen und spielen kann – ganz zu schweigen davon, dass sie bereits eine Diskographie von fünf Alben vorweist. Die Erklärung ist einfach: Dank den Kindheitserfahrungen im Kirchenchor und dem prägenden Einfluss von Lokalmatadoren wie Stevie Ray Vaughan und Miranda Lambert als Teenagerin wird sie Profimusikerin, bevor sie überhaupt in den Bars trinken darf, in denen sie damals ihre ersten Shows spielt.

Die Eröffnungszeile des Titels „Real Gone“ (‘Little guitar queen, I was just sixteen’) erzählt von jenen Jahren des Aufbruchs. Zunächst heimst Venable innerhalb von Texas mehrfach den East Texas Music Award ein. Mit den ersten Alben No Glass Shoes (2016) und Puppet Show (2018) erweitert sie Schritt für Schritt ihren Horizont. Das dritte Album Texas Honey (#2 der Billboard Blues-Charts) bringt zusammen mit der Beteiligung an der Ruf Records Blues Caravan Tour 2019 dann den erhofften internationalen Durchbruch. Nach der Pandemie tritt sie mit Heart Of Fire (2021) verstärkt hervor; neben vielen Konzerten als Headlinerin spielt sie auch als Support für Kenny Wayne Shepherd und Buddy Guy. Nicht umsonst gewinnt sie daraufhin den Road Warrior Award bei den Independent Blues Music Awards.

Mit Real Gone geht diese schon erstaunlich reife Künstlerin jetzt neue Wege. Venable schreibt in ihren Songtexten über die Tücken des Lebens als tourende Musikerin und über die emotionalen Auswirkungen, mit denen sich so ziemlich jeder identifizieren kann. Wobei – wie der britische Musikjournalist Henry Yates kürzlich in seiner begeisterten Rezension schrieb – ihre härteren Nummern sind noch immer in der Lage, den Hörern eine „blutige Nase“ zu verpassen. Die Gitarrenpyrotechnik von „Justfyin“, der tighte Funk von „Don’t Lose Me“ oder die stürmische Griffbrett-Akrobatik von „Kick Your Ass“ sind nur einige Beispiele von der aktuellen Platte. Auch „Hold My Ground“ wird von einem Riff eingeleitet, der sofort nach Ärger klingt. Ein besonderes Highlight: Ihr Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem alten Haudegen Buddy Guy beim Duett „Texas, Louisiana“. Der sogenannte Call-and-Response zwischen Venable und der Blueslegende wird ihr noch lange in Erinnerung bleiben „Es war eine wahre Ehre und ein wahrgewordener Traum für mich.“

Solch kantigen Auftritte stehen im starken Kontrast zu den sensiblen Momenten des Albums. Die Stimmung des Akustik-Stückes „Blues Is My Best Friend“ ist so intim, dass man das Quietschen und Rasseln der Gitarrensaiten hört. Beim schwelenden „Broken And Blue“ ist ihre Stimme die einer Frau, die endlich die Lügen eines betrügerischen Liebhabers durchschaut. Mindestens ebenso berührend ist „Gone So Long“, wo ein winterlich klingendes Piano Venable nach jahrelanger Abwesenheit durch die alte Nachbarschaft begleitet (‘Little house across the street… that girl sure looks a lot like me’).

„Ich liebe alle Songs auf dem Album“, sagt sie. „,Gone So Long‘ kann man nehmen, wie man will. Für mich geht es da um das Erwachsenwerden, um die Rückkehr zu sich selbst, nachdem man einige Erfahrungen gesammelt und Dinge erlebt hat, die einen seit der Jugend vielleicht verändert haben. Bei ,Broken And Blue‘ geht es um die Gefühle nach einer Trennung – bei der nächsten Begegnung mit dem Ex geht man kein Risiko ein, weil man betrogen wurde und das Herz gebrochen ist.“

Mit der fünften Platte im Kasten bietet das Jahr 2023 Ally Venable nun reichlich Gelegenheit zu beweisen, dass ihre neuesten Songs auch live gut abrocken. Die rastlose Texanerin geht selbstverständlich mit Real Gone ausgiebig auf Tour. Wer es versäumt, sich mit auf diese rasante Reise zu begeben, ist selber schuld. Venable bringt ihre Begeisterung für das neue Album auf den Punkt: „Ich kann es kaum erwarten, dass die Menschen es hören!“