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Da unten in Louisiana machen sie es anders. Die musikalischen Giganten des Bundesstaats im tiefen Süden der USA hatten immer schon ihr ureigenes Rezept für amerikanische Rootsmusik: gewürzt mit Jazz, eingelegt in Swampblues und von jedem Künstler, der sie performt, immer ein bisschen anders gekocht.

Als Kind aus der zweiten Musikergeneration des Bayou-Staats hat Kenny Neal sein unnachahmliches Gitarrenspiel, seine orkanartige Harp und seine vom vielen Touren raue Stimme auf dem ganzen Globus präsentiert. Aber 2022 ist der Grammy-nominierte Bluesmeister für sein aktuelles Album „Straight From The Heart“ dem Lockruf der Sirenen nach Baton Rouge gefolgt, seiner Heimatstadr und seinem musikalischen Ground Zero.

„Das ist das erste Album, das ich jemals in meiner angestammten Umgebung aufgenommen habe, und es kam wirklich direkt aus meinem Herzen“, sagt Neal, der in seinen eigenen Brookstown Recording Studios mit einem Spitzenteam von lokalen Musikern aufnahm und auch als Produzent fungierte. „All die Traditionslinien des Blues fließen hier zusammen und werden eins.“

Wenn es ein Leitkonzept bei den elf Songs von „Straight From The Heart“ gibt, ist es Neals Mission, das Rad seines Lebens zurückzudrehen und   den Spirit der Musik so zu kanalisieren, dass sie klingt wie auf dem Plattenspieler seiner Familie in den frühen Jahren.

Neal hätte sich für seine Kindheit keine besseren Umstände wünschen können. So wurde er nicht nur am 14. Oktober 1957 in New Orleans geboren (ein Glücksfall für jeden zukünftigen Musiker). Besser noch fand er bald eine frühe Inspiration in seinem Vater, dem meisterhaften Harper Raful Neal mit dem orkanartigen Sound, der in denselben Kreisen wie Buddy Guy und Slim Harpo verkehrte.

All das musstes auf ihn abfärben. Mit 13 begeisterte Neal Jr. das Publikum in der Band seines Vaters; vier Jahre später spielte er Bass für Buddy Guy. Über die legendäre Periode, während der er mit seinen Geschwistern in der Neal Brothers Blues Band arbeitete, wird in den Clubs von Toronto, deren Dächer sie damals wegbliesen, immer noch in ehrfürchtigen Tönen gesprochen. Aber Neals wirklicher Durchbruch kam 1988, als seine erste Solo-LP vom Alligator-Label unter dem Titel „Big News From Baton Rouge!!“ noch einmal veröffentlicht wurde und man angesichts dieses modernen Swampblues-Meisters die Ohren spitzte, der das Feeling und die Stimme einer alten Seele hatte, aber die Vision und die Leidenschaft eines jungen Mannes.

Steck eine Nadel irgendwo in Neals Diskografie und du wirst auf Gold stoßen, von „Let Life Flow“ von 2008, auf dem er sein Repertoire um eine Dosis Memphis Soul erweiterte, bis zu „Bloodline“ von 2016, das ihm nicht nur eine Grammy-Nominierung als bestes zeitgenössisches Bluesalbum, sondern auch zwei Blues Music Awards einbrachte. Von Neals W.C. Handy Blues Award von 2005 bis zu seiner Aufnahme in die Louisiana Music Hall of Fame 2011 sind wenige zeitgenössische Künstler höher dekoriert worden.

Man kann „Straight From The Heart“ zwar anhören, dass Neal viel unterwegs gewesen ist, aber sein neues Album ist in jeglicher Hinsicht eine Rückkehr nach Hause. Neben seinen Kumpels aus Baton Rouge stießen im Studio auch einige Special Guests dazu, was Neals Standing in der Szene verdeutlicht, darunter die hoch gehandelte Bluessensation Christone „Kingfish“ Ingram, der bei „Mount Up On The Wings Of The King“ als Co-Autor fungierte und Gitarre spielte, die Pop-Größe Tito Jackson auf „Two Timing“ und Rockin’ Dopsie Junior & The Zydeco Twisters bei zwei Songs. Auf „Two Timing“ kann man zudem Neals höchst talentierte Tochter Syreeta hören, wie sie den Song mit ihrem Gesang zum Abschluss bringt.

„Es war wie ein Familientreffen“, sagt Neal zu den entspannten Sessions. „Es war großartig, weil ich all die Musiker dabei hatte, die nach mir hier in Baton Rouge groß geworden sind. Und in meinem eigenen Studio zu sein und sich keine Gedanken über die Zeit machen zu müssen.“

„Straight From The Heart“ ist ein passender Titel für eine Platte, die den vielen Vorlieben in Neals Leben Tribut zollt.  Da ist der bläserrgesättigte Opener „Blues Keep Chasing Me“, mit dem er sich vor seinem kürzlich verstorbenen Freund Lucky Peterson verneigt. Da ist das berührende, vom Klavier getragene „Someone Somewhere“, das dem geliebten Vater gewidmet ist, der ihm den Weg gewiesen hat. An anderer Stelle wird Neals tiefe Liebe für all die musikalischen Facetten seines Heimatstaats unterstrichen durch den Zydeco-Groove von „Bon Temps Rouler“ und „New Orleans“, dessen Lyrics alles von „einen Hurricane-Cocktail schlürfen“ bis “am Bayou sitzen und Catfish fangen” abdecken.

Angesichts einer derart offenherzigen Platte ist es unmöglich, sich nicht erkenntlich zu zeigen. Und während die Welt wieder aufmacht und Kenny Neal seinen vertrauten Lebensraum „on the road“ umarmt, wird diese Louisiana-Ikone ein bisschen von dem Spirit von Baton Rouge auf jede Bühne bringen, die er betritt. „Es kostet nichts, ein wenig Liebe und ein wenig Respekt zu teilen“, sagt er. „Und wir können alle über uns hinauswachsen …“