Der amerikanische Süden lässt einen nie ganz los. Manche Menschen, die dort aufwachsen, lassen die Heimat zwar hinter sich, um ihr Glück woanders zu versuchen. Einige wandern sogar ins Ausland aus. Doch den Süden tragen sie stets tief in sich – bis er sie eines Tages wieder nach Hause ruft. So war es jedenfalls bei Deep In My Soul: Das Album, das den in Europa lebenden Big Daddy Wilson zurück an seine Ursprünge führte. „Diese Platte ist meine Heimkehr“, sagt er. „Ich bin zurück an meine Wurzeln gekommen und das war wirklich etwas Besonderes.“ Gewiss ist Wilson nicht mehr der gleiche Mensch wie vor über 25 Jahren, als er in die große weite Welt aufgebrochen ist. Der Bluesman wächst als waschechter „Country Boy“in Edenton, North Carolina auf. Um ihn vor den Gefahren durch Drogen und Straßenbanden zu schützen, ermutigt ihn seine Familie, in der Kirche zu singen. Die wahre Offenbarung kommt aber erst 1979: Er verpflichtet sich zum Militärdienst, wird in Deutschland stationiert und entdeckt in den hiesigen Clubs die Power des Live-Blues. „Erst hier habe ich das gefunden, was mir mein Leben lang gefehlt hatte“, blickt er zurück.
Mit der Zeit schafft es Wilson, sich als Ausnahmetalent der europäischen Szene zu etablieren – dank einer warmen, tiefen Stimme und seinem originellen Songwriting zwischen Blues, Funk, Soul und Reggae. Diese eigenwillige Mischung prägt Alben wie Love Is The Key (2009), Thumb A Ride (2011), I’m Your Man (2013), Time (2015) und auch das von Classic Rock als „authentisch“ hochgelobte Neckbone Stew von 2017. Auf all diesen Platten hört man den Süden mitschwingen. „Sobald Big Daddy Wilson den Mund aufmacht – egal, ob zu reden oder zu singen – sind seine Wurzeln im ländlichen Süden der USA unüberhörbar“, sagt der preisgekrönte Musiker Eric Bibb, ein prominenter Bewunderer.
Wilson erkundet diese Wurzeln auf Deep In My Soul, seinem wunderbaren neuen Album für Ruf Records. Die Story dahinter beginnt im Mai 2018, als er zunächst nach Memphis reist, um zusammen mit Meister-Gitarristin Laura Chavez und dem erfahrenen Bassisten Dave Smith die Aufnahme vorzubereiten. Im Dezember ist es dann endlich soweit: Wilson fährt mit seiner Studioband nach Stantonville in Tennessee, um mit dem Grammy-prämierten Produzenten Jim Gaines – bekannt durch seine Arbeit mit Carlos Santana und Stevie Ray Vaughan – in dessen Bessie Blue Studios aufzunehmen. „Eine Legende wie Jim kann man nur mit Demut begegnen“ reflektiert Wilson. „Man sperrt die Ohren und Augen auf in der Hoffnung, ein kleines Stück seines Wissens mitzunehmen.“
Schließlich wird das Album in den ikonischen FAME Studios von Muscle Shoals, Alabama, noch verfeinert, wo einst legendäre Aufnahmen von Etta James und Duane Allman zustande kamen. Doch Wilsons Songs brauchen den Vergleich nicht zu scheuen. Wie die von Bläsern getriebene Soulnummer I Know. Oder Mississippi Me mit seinem großen Herz. Wilson begeistert mit Funk (Tripping On You), Reggae (I Got Plenty), mit der Wah-Gitarre von Voodoo und der schwelenden Atmosphäre von Crazy World. „Normalerweise setze ich mehr auf Akustik-Sounds.“, erklärt er. „Die Stimmung auf dieser Platte und mit dieser Band ist eher elektrisch und in der Soulmusik verankert.“
Bei den Songtexten von Deep In My Soul geht es um die Liebe in all ihren Facetten, erklärt er. „Voodoo handelt von einem Geistlichen, der von der schwarzen Magie nichts hält. Dem Zauber einer gewissen Frau kann er aber nur schwer entkommen. Bei Hold On To Our Love geht es um eine Liebe zwischen zwei Menschen verschiedener Hautfarbe, die dem Druck von außen stand halten muss. I Know beschreibt den Moment, in dem du der Liebe deines Lebens begegnest und sofort weißt: Ja, sie ist es. Die Liebe steht also im Mittelpunkt. Wie immer.“
Manche Dinge ändern sich, andere nicht. Mit Deep In My Soul schließt sich für Big Daddy Wilson jedenfalls der Kreis seiner Laufbahn als Musiker. „Ich betrachte mein Leben als eine lange Reise“, sagt er. „Unterwegs habe ich in dieser schönen Musik, die wir Blues nennen, zu mir selbst gefunden. Und jetzt, nach 25 Jahren, bin ich endlich wieder Zuhause angekommen.“