Eric Johanson war gerade dabei, sein aktuelles Album The Deep and the Dirty einzuspielen, da landete das vorherige Werk von ihm in den Top 10 der Billboard-Blues-Charts. Es war das insgesamt vierte Mal, dass er eine solche Chartplatzierung erreichte. Der aus Louisiana stammende Künstler – aufgewachsen mit der Musik solcher Bluesgrößen wie Freddie King und Robert Johnson – konnte sich natürlich darüber freuen. Und doch hielt ihn sein anhaltender Erfolg innerhalb des Bluesgenres nicht davon ab, für die vielseitigen, elektrisierenden Songs von The Deep and the Dirty über den Tellerrand zu schauen.
„Ich wollte nie in eine Schublade gesteckt werden“, sagt Johanson. „Blues zwar ist die Wurzel der verschiedenen Musikstile, die ich spiele – Hard Rock, Americana, New Orleans-Funk, Country – aber ich erkenne keine Genregrenzen an und halte nicht an irgendeinem Format fest. Ich verstehe den Blues als eine Musikform, die rau und ausdrucksstark ist und Menschlichkeit ausstrahlt. Deshalb ist The Deep and the Dirty für mich ein Bluesalbum.“
Dieser „ungeschliffene Ausdruck meiner Selbst“, wie Johanson sein neues Album nennt, wurde von Jesse Dayton (Supersuckers, Rob Zombie) produziert – einem weiteren Roots-Rock-Innovator, der wie Johanson den Blues als Sprungbrett für einen breiteren Sound nutzt. The Deep and the Dirty (der Titel bezieht sich auf Johansons Heimat im Süden der USA) überzeugt vor allem durch scharfsinniges Songwriting und das brandheiße Gitarrenspiel des Amerikaners. Die Songs schrieb Johanson während des Lockdowns – in einer Zeit also, in der er zu Hause saß, sich mit Unplugged-Livestreams über Wasser hielt und immerhin zwei LPs in seiner Covered Tracks-Reihe veröffentlichen konnte. Bei der ersten Gelegenheit ging er mit seiner Band wieder auf Tour und lernte die Chemie zwischen den Musikern neu zu schätzen.
Die Songs von The Deep and the Dirty – mit der Band live im Studio aufgenommen – handeln vom Leben im Hier und Jetzt und bringen ein Gefühl der Erneuerung rüber. An nur zwei Tagen nahm Johanson mit dem Bassisten Eric Vogel (Big Sam’s Funky Nation / Fred Wesley) und dem mit einem Grammy ausgezeichneten Schlagzeuger Terence Higgins (Ani DiFranco / Warren Haynes / Tab Benoit) zwölf Songs auf. „Wenn man eine Platte live als Band einspielt, passieren Dinge, die nicht vorkommen, wenn man jeden Part einzeln aufnimmt“, erklärt Johanson. „Ich schreibe meine Gitarrensolos nicht vorher und nehme sie auch nicht separat auf. Das Zusammenspiel mit der Band ist das, was mich bei einem Solo vorantreibt. Nicht nur deshalb gehen wir als Band diesen Weg. Und wenn sich mal ab und zu ein Fehler bei uns einschleicht, tja, dann gibt die Aufnahme diesen einmaligen Augenblick ehrlich wieder.“
Der in Alexandria, Louisiana, geborene Musiker erhielt seine erste Gitarre mit fünf. Als Teenager war er in der regionalen Bluesszene sehr aktiv und begleitete oft viel ältere Musiker in Musikhochburgen wie New Orleans oder Memphis. Gleichzeitig hatte er auch eine Vorliebe für zeitgenössische Rockbands wie Tool, Soundgarden oder Nine Inch Nails. Seine ersten eigenen Songs schlossen dementsprechend alles von Rock’n’Roll bis hin zu beatgetriebener elektronischer Musik mit ein.
Ein vierjähriger Aufenthalt in Neuseeland (eine indirekte Folge von Hurricane Katrina im Jahr 2005) erweiterte seinen Horizont noch weiter. Bis zu seiner Rückkehr nach New Orleans 2010 hatte Johanson einen Musikstil entwickelt, der sämtliche Einflüsse kompromisslos umfasste. Mit dem Soloalbum Burn It Down (2017) konnte er bereits ein größeres Publikum erreichen; gleichzeitig sammelte er wichtige Erfahrungen als Sideman für Acts wie Cyril Neville (The Neville Brothers).
„Ich sehe die Musik als eine Möglichkeit, meiner Welt und meinem Dasein einen Sinn zu geben“, sagt er. „The Deep and the Dirty ist eine Weiterentwicklung dessen, was ich zuvor gemacht habe – die Musik ist ein bisschen direkter, ein bisschen mehr Up-Tempo und etwas rockiger. In den Lockdown-Jahren hatte sich eine Menge Energie bei mir aufgestaut, die jetzt schlagartig aus mir herausschießt.“
Songs wie „Don’t Hold Back“ bringen die „Nutze den Tag“-Botschaft des Albums auf den Punkt. Der von Fuzz-Gitarre und einem stampfenden Groove getragene Song ist Johansons Aufruf dazu, die Gegenwart nicht zu vergeuden. „This moment right now, this is all we get“, singt er mit einer Stimme, die ebenso eindringlich ist wie sein Gitarrenspiel. Beim ähnlich aufgelegten „Just Like New“ tauscht Johanson seine E-Gitarre gegen ein National Resonator-Modell um und erzeugt damit eine dreckige Mississippi Delta-Stimmung. Sonst bietet The Deep and the Dirty alles von Roadhouse-Roots-Rock („Undertown“) bis hin zu dunklem, bluesigem Americana („Familiar Sound“); den roten Faden verkörpert der Musiker selbst, der sich in der Grauzone zwischen den traditionellen Genres zuhause fühlt.
„Je mehr ich rumkomme und vor unterschiedlichem Publikum spiele, desto klarer wird es mir, dass die Menschen auf ehrliche Musik reagieren, egal, ob sie Blues ist oder nicht“, sagt er. „Das gibt mir die Freiheit, Musik zu machen, die sich für mich natürlich anfühlt. Ich liebe Blues und Country ebenso wie ich Hardrock liebe. Ich liebe es, auf der Bühne zu stehen und mit der Gitarre zu improvisieren, aber ich liebe es auch, gefühlvolle Songs zu schreiben. So ist dieses Album eine Mischung aus all den Dingen geworden, die ich mag, und bringt all diese Einflüsse zusammen.“