Photos by Graham Trott   

Ein Studioalbum von Roger Chapman lässt immer aufhorchen. Seit Beginn seiner Karriere – ab 1966 als Teil der ebenso bahnbrechenden wie einflussreichen Band Family, danach seit mehr als vier Jahrzehnten als Solokünstler – ist der britische Sänger und Songwriter konsequent seine eigenen Wege gegangen. Er lehnt sich gegen die Regeln der Musikindustrie auf, geht über Genres hinaus und dient stets als Spiegel der Gesellschaft, in der er lebt. „Ich habe mit dem Schreiben nie aufgehört“, reflektiert er. „Mit Life In The Pond bin ich nach langer Zeit wieder meinem Wunsch nachgegangen, meine Worte zu vertonen.“

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   Life In The Pond (Ruf Records/Chappo Music) erscheint zwar nach einer langen Abwesenheit vom Studio, doch der inzwischen 79-jährige Chapman ist sehr produktiv geblieben. Ganze zwölf Jahre nach der gefeierten Raritätensammlung Hide Go Seek („Ein wahres Löwenherz brüllt noch immer” lobte The Mirror) bringt Life In The Pond den Veteranen mit einigen alten Weggefährten zusammen – darunter sein ehemaliger Family-Kollege John „Poli“ Palmer, der als Mitkomponist und Produzent tätig war. Doch die Songs haben durchaus einen Bezug zu aktuellen Ereignissen. „Vor allem meine Wut auf Politiker bringt mich regelmäßig aus der Fassung“, erläutert Chapman seine Texte. „Das tägliche Geschehen, Nachrichten aus aller Welt, meine Gedanken über Freunde und Menschen im Allgemeinen … das fließt alles mit in die Texte ein.“

   Musikalisch stellt Life In The Pond den Zusammenhang zwischen all seinen Ur-Einflüssen her. „Ich empfinde eine gewisse Nostalgie für die Musik, die mein Leben geprägt hat: Amerikanische Rockmusik von den 50ern bis heute oder auch britischer R‘n’B aus den 60ern. Musiker wie Georgie Fame, die Stones oder Zoot Money. Auch Folk, Blues, Motown, Stax, Blue Note-Jazz, Americana, Country und klassische Musik haben mich beeinflusst. Ein ganze Menge…“

     Wer die faszinierende Karriere des kurz „Chappo“ genannten Musikers verfolgt hat, der weiß schon von dessen Vielseitigkeit. Obwohl Chapman aus Leicester in den englischen Midlands stammt, interessiert er sich als Jugendlicher wenig für den Rock’n’Roll seines Heimatlandes. „Meine Helden waren allesamt Amerikaner. Little Richard, Chuck Berry, Eddie Cochran, Gene Vincent – die waren für mich das einzig Wahre.“

1966 stößt er zu The Farinas; der damals 24-jährige Sänger findet in dem Leadgitarristen Charlie Whitney den perfekten Songwriting-Partner. Der Durchbruch kommt allerdings erst, als die Band sich in Family umtauft, nach London zieht und sich der markanten Mischung aus Jazz, Blues, Folk, Prog und psychedelischem Rock widmet, die in ihrem legendären Debütalbum Music In A Doll’s House von 1968 mündet. „Wir haben nicht bewusst versucht, anders zu sein“, meinte Chappo einst. „Kalkül war nie im Spiel. Im Gegenteil: Unser Musik war naiv und ehrlich.“

Als Anfänger lässt er sich von seinen Vorbildern aus den USA inspirieren. „Ich habe tatsächlich geglaubt, ich klinge wie Little Richard oder Ray Charles.“ Mit der Zeit aber erweist sich seine Stimme innerhalb von Großbritannien als einmalig: Sein Gesang ist in einem Moment ein kreischendes Geschrei und im nächsten ein Balsam für die Seele – und stets durch seinen Vibrato unverkennbar. Außerdem zeichnet er sich durch seine beinahe manische Intensität auf der Bühne aus. Mit seiner Hilfe spielt Family in der britischen Psychedelic-Bewegung ganz oben mit. „Teil dieser Szene in den sechziger Jahren zu sein, war etwas Besonderes für mich“, blickt Chapman zurück.

  Family genießt damals großen Zuspruch auf beiden Seiten des Atlantiks und hat in dem einflussreichen Radio-DJ John Peel einen prominenten Unterstützer. Bis zur Auflösung der Band 1973 bringen sie sieben LPs heraus; ihren größten Erfolg erlangen sie 1972 mit der Single „Burlesque“, der Platz 13 in Großbritannien erreicht. Für Chappo und seinen Songwriting-Partner Whitney geht es danach mit dem Americana-Projekt Streetwalkers weiter, das 1976 mit dem Album Red Card einen beachtlichen Erfolg verbucht. „Der Name der Band hatte nichts mit leichten Mädchen zu tun“, verdeutlicht er. „Die Idee kam von schäbigen Managern.“  Im Jahr 1979 beginnt mit dem Album Chappo schließlich die Solokarriere dieses ideenreichen Sängers und Songwriters. Mehr als vier Jahrzehnte später führt er nun mit Life In The Pond die Fäden zusammen – auch dank Songbeiträgen von John „Poli“ Palmer und eines fantastischen Gastauftritts seines langjährigen Kollegen Geoff Whitehorn an der Gitarre. Chapmans Stimme klingt so stark wie in den goldenen Zeiten. Seine musikalische Aufgeschlossenheit ist größer denn je.

   Nachdem das Album mit dem tiefen Groove, dreckigen Gesang und heftigen Bläsern von „Dark Side Of The Stairs“ los geht, rufen Songs wie das hypnotische, siebenminütige Epos „Nightmare #5“ und die dystopische Soul-Funk-Nummer „Rabbit Got The Gun“ eine breite Palette an Stimmungen hervor. „Having Us A Honeymoon” eröffnet mit einem kleinen Fetzen aus dem Hochzeitsmarsch von Mendelssohn und endet als ein von Honky-Tonk-Piano begleitetes Singalong. Am anderen Ende des Spektrums steht das überraschend ruhige „Lavender Heights“, bei dem Chapman ganz auf seine Stimme setzt – dezent begleitet von Keyboard und Streicher – um menschliche Wärme und Zärtlichkeit zu vermitteln.  Keine Frage: Seine Texte haben Biss. Doch der Song “Naughty Child”, der das Album abschließt, zeigt, dass Chapman auch mit 79 Jahren seinen Idealismus nicht verloren hat. „When the world was young and foolish“, singt er. „When the world was running wild…“

    Die Welt hat sich seit 1966 extrem verändert. Trotzdem hat Roger Chapman noch Wichtiges zu sagen. Mit Life In The Pond erhebt er seine Stimme erneut und schafft damit große Kunst. „Ich bin Poli sehr dankbar, dass er mir diese Plattform geboten hat“, sagt er. „Ich glaube, wir haben echt eine tolle Leistung vollbracht.“