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„Man soll immer über den eigenen Tellerrand hinausschauen“, sagt Samantha Fish im Bezug auf ihr neues, grenzüberschreitendes Album Belle of the West. „Als Künstlerin wachse ich nur, wenn ich mir neuen Herausforderungen stelle.“

Nach ihrem Plattendebüt 2009 konnte sich Samantha Fish innerhalb kürzester Zeit als eine der Shooting-Stars der heutigen Bluesszene etablieren. Die junge und charismatische Sängerin, Gitarristin und Songwriterin aus Kansas City hat sich bis heute als dynamischer Liveact und als Ausnahmetalent auf ihrem Instrument bewiesen. Gleichzeitig hat sie mit einer Reihe von außerordentlich kreativen, risikofreudigen und vielumjubelten Alben immer wieder für musikalische Überraschungen gesorgt.

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Die New York Times lobte Fish als „eine beeindruckende Bluesgitarristin und entzückende Sängerin“ und dazu als „eines der vielversprechenden Talente des Genres“. Die Zeitung Kansas City Star aus ihrer Heimatstadt schrieb: „Samantha Fish hat die Tür zum patriarchalischen Bluesclub eingetreten“ und sieht sie als Jungtalent, das „schon mehr Fantasie und Kreativität gezeigt hat als mancher Bluesveteran im Laufe seiner ganzen Karriere.“

Samantha Fish will allerdings keine Energie daran verschwenden, die bisherigen Erfolgsformeln zu wiederholen, sondern sie folgt immer der Stimme ihres Herzens. So auch auf ihrem fünften Studioalbum Belle of the West, mit dem sie sich selbst übertroffen hat. Der Langspieler mit elf tiefgründigen, äußerst persönlichen Titeln legt den Schwerpunkt erstmals auf ihre beachtlichen Fähigkeiten an der Akustikgitarre sowie auf ihr bodenständiges, emotional packendes Songwriting.  

Denkwürdige Eigenkompositionen von Fish wie „American Dream“, „Blood in the Water“, „Need You More“ und „Don’t Say You Love Me“ stehen nahtlos in der Americana-Tradition, während drei Coverstücke—„Poor Black Mattie“ von R.L. Burnside, „Nearing Home“ von Little Mae und der Titeltrack von Jimbo Mathus—andererseits von ihren großartigen Qualitäten als Interpretin und ihren breitgefächerten Musikgeschmack zeugen.

„Ich betrachte dieses Album als einen logischen nächsten Schritt“, erklärt Fish. „Die Geschichten in den Songs spiegeln meine Herkunft im Mittelwesten der USA wieder. Sie sind also sehr persönlich. Neben dem Songwriting habe ich mich aber auch insbesondere auf den Gesang, auf die Melodien und auf die Emotionen konzentriert, weil ich diesmal andere Facetten von mir zeigen will. Auch wenn der eine oder andere gitarrenbetonte Titel auftaucht: Die Saitenakrobatik steht keineswegs im Mittelpunkt der Platte. Ich liebe den Mississippi-Blues; diese Musik ist einfach echt und sie berührt deine Seele. Das Album habe ich als Chance genutzt, in diese Welt einzutauchen.“

Belle of the West wurde tatsächlich im hügeligen Norden von Mississippi, genauer in den legendären Zebra Ranch Studios aufgenommen – an diesem ländlich geprägten Standort herrschte eine entspannte und äußerst kreative Atmosphäre. Produzent war Luther Dickinson von den North Mississippi Allstars, der schon 2015 das Erfolgsalbum Wild Heart für sie betreut hatte. Neben Dickinson kamen weitere ikonische Musiker aus der Gegend ins Studio, darunter die Solokünstlerin und Jack White-Kollegin Lillie Mae (ihre markante Stimme ist auf „Nearing Home“ zu hören), der viel gereiste Juke Joint-Blueser Lightnin‘ Malcolm (eine starke Erscheinung bei „Poor Black Mattie“), der Squirrel Nut Zippers-Gründer Jimbo Mathus, die beliebte Solokünstlerin und Kontrabassistin Amy LaVere, Tikyra Jackson, Trina Raimey und nicht zuletzt Shardé Thomas, ein Enkelkind des legendären Südstaaten-Bluesers Otha Turner.

„Mein Ziel war es, eine Mischung aus akustischen und elektrischen Sounds zu schaffen, die das besondere Flair von Mississippi in sich trägt“, erläutert Fish. „Wenn ich mich an einem neuen Ort in einer bestimmten Atmosphäre mit einer neuen Gruppe von Musikern umgebe, sehe ich das als eine Möglichkeit, musikalisch zu wachsen. Zum Glück fühle ich mich in den Zebra Ranch Studios wie Zuhause. Ich kenne Luther und Malcolm seit vielen Jahren und bin bei ihnen gut aufgehoben. Eine Platte wie diese muss natürlich klingen, um Menschen zu berühren.“

Belle of the West folgt mit nur kurzem Abstand auf das im März 2017 veröffentlichte Chills & Fever, das es bis in die Top 10 der Billboard Blues-Charts schaffte. Auch diese Platte – bei der sich Fish mithilfe der Garage-Rocker Detroit Cobras in die Gefilde des klassischen R&Bs wagte – war von stilistischen Neuerungen geprägt. „Die Erfahrung, zwei so unterschiedliche Alben innerhalb eines Jahres zu machen, hat eine befreiende Wirkung“, freut sich Samantha.  

Die kreative Neugier hinter Belle of the West und Chills & Fever begleitet sie schon seit der Kindheit. Fish wuchs in einer musikbegeisterten Familie in Kansas City, Missouri, auf und war im frühen Alter von der Musik besessen. Sie lernte zunächst Schlagzeug und wechselte mit 15 zur Gitarre. Bis zum 20. Geburtstag hatte sie ein eigenes Trio gegründet und ein erstes Album in Eigenregie herausgebracht. Dadurch wurde das renommierte Blueslabel Ruf Records auf sie aufmerksam; 2011 erschien Girls with Guitars, ihre Zusammenarbeit mit den beiden Gitarrenkolleginnen Cassie Taylor und Dani Wilde.  Im gleichen Jahr folgte ihr Solodebüt Runaway bei Ruf.  Damit gewann Fish in der Kategorie „Best New Artist Debut“ bei den Blues Music Awards in Memphis 2012.  

Die beiden von der Kritik hochgelobten Nachfolger Black Wind Howlin‘ (2013) und Wild Heart (2015) festigten ihren Ruf als führende Bluespersönlichkeit.  Wild Heart stieg sogar bis an die Spitze der Billboard Blues-

Charts.  Im Rahmen des Projekts The Healers arbeitete Fish 2013 mit Blues-Rock-Veteranen Jimmy Hall und Reese Wynans zusammen.  Unvergesslich bleibt der Gastauftritt an der Seite der Bluesikone Buddy Guy im gleichen Jahr, ebenso wenig ihr Beitrag zum Album Turquoise von Devon Allman.

Ihr bisheriger Erfolg ist ein Beweis dafür, dass sich harte Arbeit auszahlt.  „Ich war schon immer ziemlich fleißig“, sagt sie. „Schließlich bedeutet mir die Musik alles. Dass ich immer unterwegs bin und immer wieder neue Musik heraus bringe, ist nur die logische Konsequenz. Vielleicht ist es ein bisschen verrückt, zwei so unterschiedliche Alben im gleichen Jahr zu machen. Diese Arbeit macht mir aber Spaß! Genau das macht mich als Person aus – ich fühle mich wohl in meiner Haut, wenn ich Songs schreibe oder im Studio etwas aufnehme oder auf Tour bin. Momentan habe ich mir Gehör verschafft. Also muss ich die Gunst der Stunde nutzen. Es gibt schon einiges, das ich los werden möchte. Deshalb tue ich das.“

Was die Zukunft betrifft, ist Samantha Fish offen für alles.  „Man sollte keinen ganz traditionellen Blues von mir erwarten, weil ich eben anders bin“, betont sie. „Auf der anderen Seite kann der Blues viele Gesichter haben. Muddy Waters und Howlin‘ Wolf haben den Blues mit einem neuen Sound nach vorne gebracht, der ganz anders war, als der Blues der vorherigen Generation.  Dieses kreative Feuer soll weiter brennen.  Ein Muddy Waters-Stück werde ich nämlich nie besser singen können, als Muddy selbst. Es bleibt mir also nichts anderes mehr übrig, als mich selbst und meine ganz eigene Stimme zu finden.“  

Samantha Fishs musikalische Grundlage war und ist der Knucklehead Saloon Blues Club in ihrer Heimatstadt Kansas City. Nach noch heimlichen Besuchen als Minderjährige verliebte sie sich bald schon in diesen Musikstil und folgte dem Weg moderner Künstler wie Mike Zito und Tab Benoit sowie den gefallenen Helden der 80er wie etwa Stevie Ray Vaughan. „Ich habe mich total in diese Musik verliebt“, sagte sie gegenüber Premier Guitar, „und machte meine Hausaufgaben, indem ich den alten Jungs wie Son House und Skip James zuhörte.“

Im Laufe ihrer ersten drei Soloprojekte für Ruf Records hat sich Samantha Fish schon mehrfach bewiesen – durch cleveres Songwriting, ein packendes Gitarrenspiel und nicht zuletzt als unnachahmliche Bluessängerin. All diese Facetten gab es schon auf ihrem Erstlingswerk Runaway zu bestaunen, mit dem sie 2012 den Blues Music Award für das „Best New Artist Debut“ einheimste. Auf den beiden Nachfolgern Black Wind Howlin‘ und Wild Heart sowie bei Hunderten von Konzerten zeigte sich die junge Künstlerin aus Kansas City stets risikobereit: Hier polterte sie kräftig in Richtung Classic-Rock, dort gab sie eine ruhige Bluesballade zum Besten. Noch nie war der stilistische Sprung aber dramatischer als auf Chills & Fever. Ihr viertes Album entpuppt sich als eine energiegeladene Liebeserklärung an den Rock’n’Roll und Rhythm ’n Blues der 60er und 70er. Dafür reiste Fish in eine der traditionsreichsten Musikmetropolen der USA, nämlich Detroit – eine Stadt, die Aretha Franklin, Jackie Wilson, Stevie Wonder und zahllose andere Größen des Rock’n’Roll und R’n’B hervorbrachte. Dort bekam sie tatkräftige Unterstützung von prominenten Mitgliedern der Detroit Cobras (einer 1994 gegründeten Garage-Rock-Combo) sowie von den Bläser-Routiniers Mark Levron und Travis Blotsky. Das Können dieser hochkarätigen Studioband ließ sich die Blueslady in die R’n’B- und Soulmusik ihrer Jugend neu verlieben. „Leute wie Ray Charles und Otis Redding gehörten früher zu meinen absoluten Lieblingen«, blickt Fish auf ihre Vergangenheit zurück. Auf Chills & Fever holt sie 14 bekannte und weniger bekannte Songperlen aus der Musiktruhe und verpasst ihnen einen neuen Glanz. Dass dieser Abstecher in das 20. Jahrhundert einen Mordsspaß macht, wird direkt bei der Neuauflage von „He Did It“ klar – der einstige R&B-Hit von den Ronettes ist nur eine von vielen schwungvollen und durchaus tanzbaren Nummern auf der Scheibe. Woanders bestechen die Musiker mit betörendem Voodoo-Feeling, rührendem Soul und von Bläsern getriebenem R’n’B. Durch diese vielseitige Mischung erinnert die Sängerin diesmal weniger an Blueslegenden wie Buddy Guy oder R.L. Burnside und mehr an Stilikonen wie Amy Winehouse und Imelda May. Samantha Fish hat keineswegs vor, dem Blues für immer den Rücken zu kehren –immerhin gibt es auf Chills & Fever auch bluesige Momente. Doch fürs Erste schlüpft sie in ein neues Kostüm – gern mit Leopardenmuster! – und genießt den Stilwechsel in vollen Zügen. „Ich glaube, ich habe noch nie so viel Spaß im Studio gehabt als bei dieser Platte“, freut sie sich. „Ich liebe den Klang der Bläser und die Intensität der Songs mit ihren vielen Ecken und Kanten. Eins ist jedenfalls sicher: Ich habe mich nie authentischer gefühlt.“