Candye Kane

Sex und Blues – gibt es da einen gemeinsamen Nenner? Bei Candye Kane ist es gewiss die genussvolle Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit. Die Amerikanerin, die Anfang der sechziger Jahre in East Los Angeles geboren wurde, hat reichlich Erfahrungen in der Sex-Industrie gesammelt, und das ging an ihren Live-Shows nicht spurlos vorüber. Doch Candye Kane ist weit mehr als ein Erotik-Star, der ins Musik-Fach gewechselt ist. Es gilt, eine der ungewöhnlichsten, streitbarsten, schillerndsten und talentiertesten Persönlichkeiten des zeitgenössischen Blues zu entdecken.

Candye Kane musste früh auf eigenen Füßen stehen. Mit gerade mal 16 Jahren war sie Mutter, allein erziehend und auf Sozialhilfe angewiesen. Doch die Hundert-Kilo-Frau wusste mit ihren Pfunden zu wuchern. Sie trat als Stripperin in Bars auf, posierte für die Titelseiten einschlägiger Magazine, agierte als Erotik-Darstellerin und bot ihre Stimme für Telefonsex an. Erstaunlicherweise statteten genau diese Schmuddeljobs die junge Lady mit dem Selbstbewusstsein aus, das sie schließlich von einer Karriere als Sängerin nicht nur träumen ließ.
Schon mit 14 Jahren erhielt das Girl, das einen Stimmumfang von fünf Oktaven besaß, ein Stipendium für das USC Music Conservatory. Doch die Oper war für Candye nicht die Endstation Sehnsucht. Sie schwärmte damals von sanftem Folk-Pop, von Carole King und Linda Ronstadt, und über Ronstadts Plattenaufnahmen tastete sie sich vor in die musikalische Welt klassischer Country-Stars wie Hank Williams oder der Carter Family.
Auch die Broadway-Musicals hatten es Candye angetan. Allein zehn Mal besuchte sie eine Vorstellung von „A Chorus Line“. Am College trat sie in „Oklahoma!“ auf, mit „Cabaret“ stand sie ebenfalls im Rampenlicht. Und sie nahm Gesangsunterricht, immer wieder, neben der Schulausbildung und ihren Aufgaben als Mutter. So auch in der Zeit, als ihr ältester Sohn Evan die ersten Gehversuche machte, und später, als sie mit Tommy, dem zweiten Jungen, schwanger war.
Doch die wahre musikalische Liebe von Candye Kane gehörte nicht dem Musical, sondern dem Blues. Den freilich interpretierte sie so freizügig wie ausgesprochen unorthodox. Dies trug ihr die fantasievollsten Etiketten ein, zum Beispiel „Bette Midler meets Big Mama Thornton“: die resolute, in Hollywood-Wolle gewaschene Show-Pflanze Midler und die würdige Blues-Veteranin Thornton aus Alabama – durchaus zutreffend ist hier das Spannungsfeld in Candye Kanes Schaffen beschrieben. Denn diese Frau ist nicht nur Sängerin, sondern Entertainerin mit Leib und Seele, ihre Musik hat Soul, Rock-Biss und mitreißenden Swing, und wer das Glück hat, Miss Kane live zu erleben, hört von der Bühne nicht nur die gängigen Blues-Lamentos über entfleuchte Liebhaber, sondern unter Umständen eine gepfefferte Predigt über den Segen der irdischen Liebe. Auf ihrer Homepage www.candyekane.com lässt sie sich denn auch portraitieren als eine Diva, deren Bestimmung es ist, uns dabei zu helfen, unsere Sexualität zu feiern, Vorurteile zu besiegen, unsere Träume zu leben und eine verdammt gute Zeit auf der Tanzfläche zu haben:
„She’s a diva who is here to help us celebrate our sexuality, shatter stereotypes, live our dreams, and have a damn good time on the
,dance floor.“
Ein US-Journalist nannte Candye Kane eine „updated version of Bessie Smith”. Ob der Texaner Clifford Antone dasselbe dachte, als er der Kalifornierin das erste Mal begegnete, ist nicht überliefert. Wohl aber, dass der umtriebige Clubbesitzer, Talentförderer und Labelchef aus Austin von Candye Kanes Performance so überzeugt war, dass er ihr einen Plattenvertrag anbot. Das Resultat: die drei höchst respektablen Alben „Home Cookin’“ (1994), „Knockout“ (1995) und – der Höhepunkt der Trilolgie – „Diva La Grande“ (1997).
Das Swing-Revival in den späten Neunzigern führte zu einem kurzen Intermezzo bei der großen Industrie: Das zur Warner-Familie gehörende Sire-Label produzierte mit Candye 1998 das aufwendig arrangierte Album „Swango“. Für „The Toughest Girl Alive“ – nomen est omen – schlüpfte die Lady wieder bei einer kleineren Liebhaberadresse, bei Rounder Records, unter: eine gute Wahl, denn diese Firma ist von Blues bis Folk auf amerikanische Roots Music aller Art spezialisiert.
„Whole Lotta Love“ – in gewisser Weise Candyes Lebensmotto – wurde schließlich 2003 im kalifornischen Topanga Canyon für das deutsche Blues-Label Ruf Records aufgenommen. Unter den Begleitmusikern finden sich klangvolle Namen wie der Gitarrist Charlie Musselwhite, Ex-Little-Feat-Drummer Ritchie Hayward, Canned-Heat-Bassist Larry Taylor und Saxofonist Brandon Fields.
Candye Kane ist eine Persönlichkeit mit vielen Facetten – und das zeigt sie auf der Bühne wie im Plattenstudio. Der angenehme Nebeneffekt: Mit ihrer Stimme, bei der die Washington Post an ein Naturwunder wie den Grand Canyon dachte („a natural wonder like the Grand Canyon“), und mit ihrer unverwechselbaren Erscheinung gelingt es ihr, dem Blues ein Publikum zu erschließen, das zuvor von dieser Leidenschaft nichts wusste. „I’m bringing people to the blues who don’t think they like it!“ sagt Candye Kane stolz.

† 6. Mai 2016 in Los Angeles